Ausgangslage
Die Gemeinde Kusterdingen hat im Gemeinderat ein Konzept für eine sichere Fahrradverbindung zwischen Wankheim und Kusterdingen beschlossen und am 23. November 2023 die Einrichtung dieser gesicherten Verbindung beim Landratsamt Tübingen beantragt. Sie soll das Radfahren zwischen Wankheim und Kusterdingen für alle, aber insbesondere auch für die Schüler des Blaulach-Gymnasiums, sicherer machen, damit das Fahrrad als Verkehrsmittel mehr in den Vordergrund rückt. Dies ist besonders dringlich, da die vorgesehene Strecke außerorts liegt und keine Geschwindigkeitsbeschränkung besteht. Somit ist eine Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h zulässig.
Aufgrund von Vorgesprächen mit dem Landratsamt wurde die vorgesehene Strecke in drei Abschnitte unterteilt (Fahrradstraße, Fahrverbot und Radschutzstreifen), um die verschiedenen Interessen zu berücksichtigen:
Am 25. März 2024 hat das Landratsamt diesen Antrag abgelehnt. Die Fahrradstraße wurde unter anderem nicht bewilligt, da der Schutz des Radverkehrs „durch die allgemeinen und besonderen Verhaltensregeln der Straßenverkehrsordnung besser erreicht“ werde. Die Behörde wies darauf hin, dass der Überholabstand von 2 Metern für die Verkehrssicherheit eher zuträglich sei. Für die mit einem Fahrverbot vorgesehene Strecke wird argumentiert, dass ab dem Bereich beim Jüdischen Friedhof eine alternative Strecke über die Felder bestehe (Die Behauptung, dass diese mögliche Alternative gut ausgeschildert sei, trifft nicht zu). Im Falle des Radschutzstreifens meint die Behörde, dass ein Radschutzstreifen außerorts denkbar sei, wobei zu prüfen sei, ob die vorhandene Straßenbreite den gesetzlich vorgeschriebenen Überholabstand von 2 Metern zulasse.
2. Gefahrenanalyse auf der Strecke zwischen Wankheim und Kusterdingen
Da die Entscheidung des Landratsamts ohne eine Gefährdungsanalyse getroffen wurde, haben wir einige Parameter ermittelt, um aufzuklären, ob und inwieweit Radfahrerinnen und Radfahrer auf dieser Strecke gefährdet sind, auf der eine Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h zulässig ist.
2.1 Verkehrszählung
Um den Verkehr auf dieser Strecke zu erfassen, haben wir die Fahrzeuge beim Jüdischen Friedhof gezählt, da dort der Verkehr gleichzeitig aus fünf verschiedenen Richtungen dokumentiert werden kann.
Die Ergebnisse zeigen folgendes:
– 65% der Fahrzeuge sind Fahrräder, die diesen Bereich befahren.
– Richtung Kusterdingen sind 56 Fahrräder gefahren, wobei davon 30 Kinder waren.
– Die Verbindung von und nach Kusterdingen wird in zwei Drittel der Fälle am Sendemast vorbei genutzt, wohl weil die Fahrt von und nach Lustnau erfolgt.
– Die Verbindungen nach Tübingen und Jettenburg sind stark frequentiert (80% Fahrräder), so dass sich ein reger Kreuzungsverkehr am Jüdischen Friedhof ergibt.
2.2 Gefährdungspotential an der Kreuzung am Jüdischen Friedhof
Die Verkehrszählung hat ergeben, dass am Jüdischen Friedhof ein reges Verkehrsaufkommen besteht. Von Wankheim kommend ist die Einfahrt von Jettenburg durch Büsche verdeckt und somit schlecht erkennbar.
An dieser Stelle besteht eine zulässige Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h und an der Kreuzung gilt rechts vor links, was aber leicht übersehen wird.
2.3 Überholabstand zwischen Motorfahrzeugen und Fahrrädern
Laut Straßenverkehrsordnung (vgl. § 5 Abs. 4 StVO) gilt außerorts ein einzuhaltender Abstand von 2 Metern für Motorfahrzeuge beim Überholen von Fahrrädern. Bei einer 4 Meter breiten Straße kann dieser Sicherheitsabstand nicht eingehalten werden.
Um die Einhaltung des Seitenabstands beim Überholen auf der Verbindung zwischen Wankheim und Kusterdingen zu kontrollieren, haben wir im September 2024 mit an Fahrrädern montierten Sensoren die Überholabstände gemessen und die Messdaten in einer Karte eingetragen (https://www.openbikesensor.org/).
Die Ergebnisse zeigen, dass 89% der Autos den Seitenabstand unterschreiten (https://obs.adfc-bw.de/map#14.52/48.511175476831355/9.107010735493272). Im Extremfall war der Abstand nur 44 cm.
Eine Analyse der verschiedenen Abschnitte zeigt, dass auf der Strecke, die mit einem Fahrverbot belegt werden soll, kein einziges Auto den Sicherheitsabstand von 2 Metern einhält und auch nicht einhalten kann, da die Straße nur 4 Meter breit ist.
3. Schlussfolgerungen
Die Analyse zeigt, dass auf der Außerortsstrecke zwischen Wankheim und Kusterdingen, die für Fahrräder eine sichere Verbindung darstellen könnte, ein erhebliches Gefährdungspotential besteht.
(1) Die Strecke wird zu etwa 65% von Radfahrerinnen und Radfahrern genutzt, wobei auch viele Kinder dabei sind. Trotzdem besteht auf der ganzen Strecke keine Einschränkung der Höchstgeschwindigkeit.
(2) Die häufig befahrene Kreuzung beim Jüdischen Friedhof ist unübersichtlich.
(3) Die Messung der Seitenabstände beim Überholen von Fahrrädern durch Autos wird in 89% der Fälle nicht eingehalten. Dies ist ein Hauptgrund, dass Radfahrende beim Befahren dieser Strecken sehr verunsichert sind.
Es besteht ein dringender Bedarf, diese Strecke für den Radverkehr durch bessere Regelungen sicherer zu machen.
Ich bin beeindruckt von der Kreativität und Sorgfalt eurer Analyse! Mögen eure fundierten Argumente jetzt auch zu guten Entscheidungen führen!
Es ist traurig, dass sich die zuständigen Behörden trotz ausführlich dargestellten Fakten und Argumenten immer wieder nur auf ihre Vorschriften berufen. Ich erwarte kreatives, zielorientiertes Vorgehen und gesunden Menschenverstand – auch bei Behörden.
Presseecho:
Schwäbisches Tagblatt:
Fahrradfahren: Mit Gefährdungsanalyse für mehr Sicherheit auf der Strecke nach Kusterdingen
https://www.swp.de/lokales/tuebingen/fahrradfahren-kein-platz-zum-abstand-halten-77670045.html
Reutlinger GA:
Mobilität –Mehrere Vorschläge der Gruppe »Klimaschutz Härten« zur Verbesserung der Straßensicherheit abgelehnt. 44 Zentimeter Abstand zum Fahrrad
https://www.gea.de/neckar-alb/kreis-tuebingen_artikel,-wie-mehr-sicherheit-f%C3%BCr-radfahrer-bei-kusterdingen-klappen-k%C3%B6nnte-_arid,6978181.html